Mittwoch, November 26, 2025
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Atomfall Complete Edition Test/Review

Mit Atomfall wagt Rebellion nach Jahren von Sniper Elite und Zombie Army einen großen Sprung: weg von linearen Scharfschützen-Fantasien hin zu einem offenen, erzählerisch getriebenen Actionspiel mit leichten Rollenspielelementen. Die Complete Edition bündelt das Hauptspiel und die Erweiterungen Wicked Isle und The Red Strain, ergänzt durch einen großen Patch mit Komfortfunktionen wie Schnellreise. Das Ergebnis ist ein sehr eigenständiger Trip durch ein verstrahltes Nordengland, der viele Stärken hat, aber auch einige Designentscheidungen, die sich spürbar selbst im Weg stehen. Und wir haben uns nun die Complete Edition für euch angeschaut.

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Chernobyl trifft Lake District

Atomfall spielt in den frühen Sechzigern, fünf Jahre nach einer fiktionalisierten Version des realen Windscale-Unfalls. Die Region um die Seenplatte wurde zur Quarantänezone erklärt, abgeschnitten vom Rest des Landes. Man erwacht als typische Amnesie-Figur mitten in dieser Sperrzone, ohne Erinnerung, aber mit dem dringenden Wunsch, hier wieder herauszukommen. Schon der Einstieg zeigt, worum es Rebellion geht. Statt klassischer Wüsten-Ödnis gibt es saftige Hügel, idyllische Dörfer und gleichzeitig verfallene Höfe, verstrahlte Wälder und improvisierte Militärposten. Zwischen Schafweiden stolpern Druiden in Masken, Protokoll-Soldaten patrouillieren mit Mechs, und in den Wäldern treiben seltsame Kulte und Mutanten ihr Unwesen.

Die Geschichte selbst beginnt eher konventionell, gewinnt aber schnell an Reiz. Mehrere Fraktionen bieten Hilfe an, jede mit eigener Agenda, niemand wirklich vertrauenswürdig. Über Telefone meldet sich eine verzerrte Stimme, Militär, Sektenführerinnen und Wissenschaftlerinnen versprechen einem den Weg aus der Zone, wenn man sich auf ihre Seite schlägt. Die Frage, wem man glaubt, zieht sich durch das ganze Spiel und trägt viel von der Faszination.

Offen, aber nicht wirklich ein Rollenspiel

Auf den ersten Blick wirkt Atomfall wie eine britische Antwort auf Fallout oder S. T. A. L. K. E. R., auf den zweiten Blick ist es deutlich mehr Actionspiel als Rollenspiel. Es gibt keine Erfahrungspunkte, keine Attributpunkte, keine klassischen Charisma-Checks. Man verbessert sich über Skills und Fundstücke, aber ein Kopfschuss mit einer starken Waffe bleibt ein Kopfschuss, ohne dass Werte im Hintergrund dazwischenfunken. Die Spielwelt ist in mehrere Zonen aufgeteilt, die über ein zentrales Areal verbunden sind. Sie sind groß genug, dass man sich ernsthaft verlaufen kann, aber kompakt genug, um sie nach einigen Stunden fast auswendig zu kennen. Klassische Questmarker sind optional. Stattdessen nutzt Atomfall das Prinzip der Leads: Hinweise in Briefen, Gesprächen oder Notizen geben grobe Richtungen, Koordinaten oder Ortsnamen vor, und man setzt sich die Route selbst zusammen. Dieses System sorgt immer wieder für organische Entdeckungen. Man folgt einer Spur, stolpert unterwegs über zwei weitere und verzweigt sich plötzlich in völlig andere Geschichten. Gerade wer gern liest, erkundet und sich treiben lässt, dürfte hier voll aufgehen.

Doch bei aller Freiheit merkt man, dass Atomfall nur halb den Schritt ins echte RPG wagt. Entscheidungen fühlen sich oft wichtiger an, als sie sind. Verrat, Diebstahl oder sehr fragwürdige Entscheidungen führen erstaunlich selten zu harten Konsequenzen. Viele Dialoge lassen sich mit einem souverän vorgetragenen Satz glattbügeln, ganz ohne Werteprüfung. Das unterläuft ein wenig den Anspruch, dass die eigenen Taten die Welt spürbar formen.

Kampf: bodenständig, schnell und manchmal zu simpel

Spielerisch positioniert sich Atomfall deutlich näher an einem unkomplizierten Shooter als an einer Survival-Simulation. In den ersten Stunden ist man schwach ausgerüstet und muss Gegnergruppen meiden oder klug ausmanövrieren, später hat man ein ganzes Arsenal aus Pistolen, Schrotflinten, alten Gewehren und Schlagwaffen. Die Kämpfe fühlen sich grundsätzlich gut an. Schüsse haben Wucht, Schrotflinten machen auf mittlere Distanz ernsthaften Schaden, und Nahkampfwaffen sind gefährlich, wenn man ihr Timing beherrscht. Besonders auffällig ist der Tritt: ein schneller Kick, mit dem man Gegner von sich stößt, Schwärme zermatscht und sich Luft verschafft. Er ist fast schon übermächtig, aber gleichzeitig so befriedigend, dass man ihn nur ungern missen würde.

Gegner sind im Schnitt so fragil wie man selbst. Wer aggressiv spielt und zuerst trifft, überlebt meistens, wer zögert, geht schnell zu Boden. Das passt gut zur Präsentation und nimmt dem Szenario viel Schrecken, weil es eher nach ruppiger Action als nach knallharter Survival-Hölle spielt. Weniger gelungen ist das Stealth-System. Es existiert zwar mit Bogen, leisen Waffen, Grasbüscheln und Skills, aber die KI erkennt einen schnell auf Distanz, Deckung funktioniert nur unzuverlässig und leise Vorgehensweise lohnt sich selten. Ähnlich enttäuschend wirkt das Handelssystem: Händler arbeiten mit Tauschgeschäften statt Währung, haben aber meist nur Dinge im Angebot, die man auch so findet. Viele der dafür gedachten Skills fühlen sich dadurch verschenkt an.

Welt, Atmosphäre und britischer Charme

Trotz mechanischer Schwächen trägt die Welt unglaublich viel. Die Kontraste sind stark: ein gemütlich wirkendes Dorf mit freundlichen Bewohnern, in dem ein Mech durch die Straßen stampft, Militärposten mit schrulligen Offizieren, Druidenlager, die so wirken, als wären sie direkt aus einem alten Folk-Horror-Film gefallen. Schön ist, dass nicht jeder Bandit sofort schießt. Viele Outlaws und Druiden drohen erst, ziehen die Waffen, wollen einen vertreiben. Das verleiht der Welt mehr Glaubwürdigkeit, als wenn alles sofort hirnlos aggressiv wäre. Optisch macht Rebellions Engine einen soliden Job. Die Landschaft ist stimmungsvoll, Innenräume sind abwechslungsreich, die Performance ist stabil. Weniger gelungen sind einige Gesichter, die beim Mimikspiel etwas in die Richtung Gummimaske abdriften. Akustisch überzeugt Atomfall mit markanten Akzenten und überzeichneten, aber unterhaltsamen Sprecherleistungen, die den britischen Tonfall noch verstärken.

Ein wichtiger, unschöner Punkt gehört jedoch dazu. Einige Spieler berichten von starker Augenbelastung und teils Kopfschmerzen, verursacht durch ein sehr subtilen Fischaugen-Effekt bei der Kamerabewegung und fehlende Optionen, das zu entschärfen. Wer sensibel auf so etwas reagiert, sollte das im Hinterkopf behalten, zumal grafische Einstellmöglichkeiten begrenzt sind.

Wicked Isle und The Red Strain, was bringt die Complete Edition?

Die Complete Edition enthält neben dem Hauptspiel auch die beiden Erweiterungen Wicked Isle und The Red Strain sowie einen großen Patch. Wicked Isle führt auf eine neue Insel, mischt Mönchsgeheimnisse und neue Mystik in das bekannte Konzept, scheitert aber ein wenig an der sehr ähnlichen Struktur und viel Backtracking. Die Geschichte ist stimmig, aber zu nah am Hauptspiel, und einige Aufträge verkommen zu reinen Hol- und Bringdiensten, inklusive Wege zurück in alte Gebiete.

The Red Strain macht es besser. Die Erweiterung führt in ein neues Gebiet, Scafell Crag, in dem eine rote Variante der Infektion Umwelt und Menschen befällt. Mechanisch unterscheidet sich dieser rote Stamm zwar kaum vom blauen aus dem Hauptspiel, optisch und erzählerisch ist er aber spannend umgesetzt. In Laboren warten Gehirne in Glaskuppeln, exzentrische Wissenschaftler, neue Robotertypen und fliegende Drohnen. Dazu kommen neue Perks und vor allem eine schallgedämpfte Pistole, die das Stealth-Spiel tatsächlich spürbar verbessert. Gleichzeitig hat ein Patch das Kampfsystem leicht überarbeitet. Gegner reagieren im Nahkampf verlässlicher, etwa indem sie beim Tritt immer zurücktaumeln. Gleichzeitig wurde ein Schnellreisesystem integriert, das einen Teil des zähen Hin und Her durch die Zonen entschärft. Die Inventarprobleme bleiben jedoch bestehen.

Technik, Komfort und Inventarfrust

Die größte spielmechanische Schwäche von Atomfall ist das Inventar. Die Zahl der Slots ist so knapp bemessen, dass jeder zusätzliche Gegenstand zur Last wird. Große Waffen, Heilitems, Wurfgegenstände, Questobjekte und Bastelmaterial konkurrieren permanent um Platz. Zwar gibt es geteilte Lagerboxen, aber alles, was man einlagert, ist unterwegs nicht verfügbar, und selbst die Lager können volllaufen. Wenn ein freier Slot wertvoller wirkt als fast jeder Gegenstand, den man hineinlegt, ist die Balance aus der Spur geraten. Gerade in einem Spiel, das Erkundung belohnt und mit Fundstücken wirbt, wirkt das frustrierend. Positiv fällt auf, dass sich viele Schwierigkeits- und Komfortoptionen anpassen lassen, etwa Marker, Kampfunterstützung oder Zielhilfen. Umso stärker fällt ins Gewicht, dass ausgerechnet bei grafischen Einstellungen und Inventargröße wenig Spielraum bleibt.

Fazit

Atomfall Complete Edition ist ein echtes Charakterspiel. Es erfindet das Genre nicht neu, aber kombiniert bekannte Elemente zu etwas Eigenem: ein apokalyptisches Nordengland mit Druiden, Mechs, Kulten, Soldaten und Mutanten, verpackt in offene Queststrukturen und konsequente Erkundung. Die offene Struktur der Leads, das Gefühl, in einem echten Landstrich unterwegs zu sein, und die vielen kleinen Geschichten, die man unterwegs entdeckt, machen einen großen Teil des Reizes aus. Die Kämpfe sind bodenständig und oft richtig unterhaltsam, die Fraktionen sind ambivalent, die Enden hängen sinnvoll an den eigenen Allianzen.

Im Gegenzug muss man mit spürbaren Schwächen leben. Entscheidungen haben zu selten echte Zähne, Stealth und Handel bleiben hinter ihrem Potenzial zurück, das Inventar bremst permanent, und für empfindliche Augen kann die Präsentation anstrengend sein. Die erste Erweiterung wirkt wie ein schwächerer Aufguss, die zweite fängt sich wieder und ergänzt die Welt sinnvoll. Wer eine dichte, britische Endzeitstimmung mag, Lust auf offene Ermittlungen in einer kompakt verzweigten Welt hat und sich nicht an Ecken und Kanten stört, findet in Atomfall Complete Edition ein ungewöhnliches, atmosphärisches Actionabenteuer, das immer wieder aufblitzen lässt, wie großartig eine mögliche Fortsetzung mit etwas Feinschliff sein könnte.

Gesamtwertung: 8.5/10 

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